
Von Pam Hügli & Johannes Hummel
Als Pionier des digitalen Content-Marketings hat Johannes Hummel beobachtet, wie sich die einst revolutionäre Disziplin zu einer in Teilen zunehmend inhaltsleeren Maschinerie entwickelt hat. Im Gespräch mit Pam Hügli, die Brand Leadership konsequent über Purpose und Haltung definiert, stellen sie eine provokante Frage: Hat Content-Marketing in seiner ursprünglichen Form überhaupt noch eine Zukunft – oder sollte es konsequent hinterfragt werden? Ist es längst ein Selbstzweck geworden, der Unternehmen von echter Markenführung abhält?
Die Ernüchterung des „klassischen“ Content-Marketings
Johannes Hummel: „Vor über einem Jahrzehnt habe ich aus unserem auf digitales Special Interest spezialisierten Verlag Carpe Media unsere Content-Marketing-Agentur Storyhub ausgegründet. Damals überzeugt davon, dass hochwertiger Content der Schlüssel zu erfolgreichem Marketing ist. Und dies war und ist auch immer noch so. Doch heute sehe ich, wie vielfach Inhalte – auch aufgrund von falsch eingesetzter KI – geradezu inflationär produziert werden – nicht, um etwas Relevantes zu sagen, sondern um Algorithmen zufriedenzustellen und angeblich günstigen SEO-traffic zu erzeugen. Die zentrale Frage ist heute aber nicht mehr, wie viel Content wir brauchen, sondern ob er überhaupt noch eine Wirkung entfaltet.“
Von Storytelling zu Storydoing
Pam Hügli: Inhalte nutzen nur dann, wenn sie für den Empfänger relevant sind. Und dies fängt mit dem Absender an. Nur ein Absender, der etwas zu sagen hat, der glaubwürdig und authentisch ist, wird wirklich gehört. In einer Welt voller austauschbarer Inhalte kann sich eine Marke nicht mehr nur durch Masse differenzieren. Wer keine klare Haltung hat, wird nicht gehört. Marken müssen nicht nur sichtbar sein – sie müssen relevant sein. Es reicht nicht mehr, schöne Geschichten zu erzählen, sie müssen auch mit Taten untermauert werden.“
Ein Leuchtturm statt ein Megaphon
Pam Hügli: „Viele Unternehmen glauben immer noch, dass sie nur laut genug sprechen müssen, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Doch wahre Markenführung ist nicht das Schreien mit einem Megaphon – sie gleicht vielmehr einem Leuchtturm, der Klarheit schafft und jene anzieht, die sich damit identifizieren. Ein gutes Beispiel dafür ist das Zürcher Unternehmen Freitag: Statt nur über Kreislaufwirtschaft zu reden, lebt die Marke diese bis ins kleinste Detail – von der Wiederverwertung alter LKW-Planen über ihre biologisch abbaubare F-abric-Kollektion bis hin zu ihrem «Micro-Hub»-Ladenmodell, das auf Transportwege und Ressourcen achtet. Diese Art von „Storydoing“ macht aus einem Produkt eine Haltung. Freitag schreit nicht – es zieht an. Nicht durch Lautstärke, sondern durch Konsequenz.“
Johannes Hummel: „Marken, die heute noch denken, sie könnten mit oberflächlichem Storytelling Loyalität aufbauen, haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Die Zukunft gehört jenen, die mit echtem Handeln überzeugen. Entsprechend hat sich Content Marketing inzwischen ausdifferenziert. Auf Ebene der Marke geht es immer mehr um authentische Inhalte und echte Geschichten, die die Marke erlebbbar machen. Gleichzeitig ist Content Marketing immer weiter in die Funnels und User-Journeys hinein gedrungen. Hier geht es wiederum um massgeschneiderte Konzepte, die den User vom Erstkontakt an in ein Engagement überführen und gezielt zu Abschlüssen führen.“
Der Paradigmenwechsel im Content-Marketing: Von reiner Leadgenerierung zu echter Markenführung
Johannes Hummel: „Die alte Formel ‚mehr Content = mehr Erfolg‘ funktioniert heute nicht mehr. Stattdessen geht es darum, Markeninhalte so zu gestalten, dass sie nicht einfach nur konsumiert, sondern erlebt und gefühlt werden. Es braucht mutige Inhalte, die nicht jedem gefallen, aber den richtigen Menschen etwas bedeuten. Das ist im übrigen nichts neues. Historisch gesehen haben sich immer die Unternehmen erfolgreich positioniert, die herausgeragt sind. Die ein klares Narrativ hatten. Und dies gilt umso mehr in disruptiven Zeiten wie heute, in denen die Hilflosigkeit zunimmt und der Bedarf an Orientierung gross ist.“
Die Balance zwischen Substanz und Reichweite
Pam Hügli: Substanz allein reicht aber nicht, wenn niemand sie wahrnimmt. Es braucht eine kluge Strategie, um wertvolle Inhalte in die richtigen Hände zu bekommen. Aber das heisst nicht, dass man sich für Reichweite verbiegen muss. Eine starke Marke zieht an – nicht, weil sie laut ist, sondern weil sie klar ist.
Johannes Hummel: Diese Erkenntnis sehen wir übrigens bei immer mehr unserer Kunden. Für uns bedeutet dies vorab, dass der Content-Strategie und ihr Zusammenspiel mit der Marke im Hinblick auf Zielgruppen, Bedürfnisse und Ansprache eine immer höhere Bedeutung zukommt. Zusammengefasst ergibt sich daraus zur Umsetzung von Marken-Content ein Prozess in vier Schritten:
- Marke zuerst, Content danach: Definiere, was deine Marke einzigartig macht, bevor du Inhalte produzierst.
- Haltung zeigen: Verabschiede dich von neutralen, risikolosen Botschaften und beziehe Stellung.
- Gezielte Distribution: Verbreite Inhalte dort, wo sie wirken – nicht dort, wo es am bequemsten ist.
- Weniger, aber besser: Veröffentliche weniger Content, aber stelle sicher, dass er relevant, mutig und markenkonform ist.
Fazit: Die Zukunft gehört den mutigen Marken
Pam Hügli: Die Weiterentwicklung hin zu Marken-Content steht in einem grösseren Kontext, der einhergeht mit einer zunehmenden Abkehr vieler Unternehmen vom in früheren Jahren starken Fokus auf Performance Marketing. Ihnen wird wieder bewusst, wie wichtig ihre Marke für den Aufbau von Vertrauen bei ihren Kunden ist. Dies gilt gerade heute in rezessiven Zeiten und gesättigten oder teilweise rückläufigen Märkten. Die Zukunft gehört daher nicht den Marken, die am meisten Content produzieren, sondern denen, die es wagen, wirklich etwas zu sagen. Content-Marketing als Selbstzweck, hat ausgedient. Marken, die Substanz, Haltung und eine kluge Strategie vereinen, werden sich langfristig durchsetzen.